Frank Nikolaus warnt vor Kollaps der Unternehmensfinanzierung, wenn BGH Aktionären Gläubigerstatus zuspricht – 8,5 Milliarden Schadensersatzforderungen könnten Insolvenzquote pulverisieren.
Eine BGH-Entscheidung am 16. Oktober könnte fundamentale Prinzipien deutscher Unternehmensfinanzierung umstürzen. Die Frage: Erhalten Anteilseigner bei Kapitalmarktverstößen eine gläubigerähnliche Stellung? Traditionell gilt strikte Hierarchie: Fremdkapitalgeber erhalten vorrangige Befriedigung aus der Masse, Eigenkapitalgeber partizipieren ausschließlich an Restbeständen. Sollte der BGH die Münchner OLG-Entscheidung bestätigen, kollabiert dieses System.
Gemeinsamer Vertreter der Anleihegläubiger Frank Nikolaus skizziert dramatische Zahlen: Rund 50.000 Wirecard-Aktionäre reklamierten 8,5 Milliarden Euro Schadensersatz. Gesamtgläubigerforderungen summieren sich auf 15,4 Milliarden Euro. Die verfügbare Insolvenzmasse beträgt 650 Millionen Euro. „Würden die behaupteten Schadensersatzansprüche der Aktionäre gleichrangig mit denen der Insolvenzgläubiger behandelt, würde das die Insolvenzquote massiv verwässern", warnt Nikolaus. Seine 500-Millionen-Anleihe-Gläubiger würden drastische Einbußen erleiden. Insolvenzverwalter Michael Jaffé stünde vor unlösbarer Aufgabe: Bei 50.000 Anteilseignern müssten Verluste gegen zwischenzeitliche Veräußerungsgewinne und Dividendenerträge gegengerechnet werden.
Die Fondsgesellschaft akkumulierte zwischen 2015 und 12. Juni 2020 Wirecard-Positionen für institutionelle Mandanten. Die Insolvenz am 25. Juni 2020 vernichtete diese Investments. Union Investment fordert Schadensersatz als Insolvenzmasse-Berechtigung – Jaffé und Nikolaus widersprechen. Die Klägerseite argumentiert: Systematische Bilanzmanipulation und gefälschte Ad-hoc-Kommunikation hätten wirtschaftliche Realität verschleiert. Während das Landgericht München abwies, revidierte das OLG unter Berufung auf EuGH-Rechtsprechung (Fall Hirmann) und BGH-Präzedenz (Fall EM.TV).
Nikolaus prognostiziert Kettenreaktion: „Die Kosten für Fremdfinanzierungen würden explodieren." Anteilseigner und GmbH-Gesellschafter würden künftig systematisch Insolvenz-Schadensersatzklagen instrumentalisieren. Fremdkapitalgeber antizipieren dieses Risiko: Entweder dramatische Zinsprämien oder kompletter Marktrückzug. „Das betrifft auch den Mittelstand, der sich oft mit Anleihen und Schuldscheinen finanziert." Zahlreiche Unternehmen verlören Finanzierungszugang. „Das Urteil wäre nicht nur für den Kapitalmarkt, sondern die Wirtschaft insgesamt eine Katastrophe." Seine Schlussfolgerung: „Als Aktionär hat man, anders als ein Fremdkapitalgeber, unlimitiertes Upside und Kontrollrechte. Dies muss man mit einem erhöhten Risiko für den Insolvenzfall bezahlen, selbst wenn diese durch mutmaßlichen Betrug zustande kommt." Die Entscheidung definiert fundamentale Risikoallokation zwischen Eigen- und Fremdkapital neu – mit unabsehbaren Konsequenzen für deutsche Unternehmensfinanzierung.